Weihnachtsbaum im Windkanal
Die Geschichte um den Weihnachtsbaum im Windkanal beginnt nicht etwa mit festlicher Vorfreude, sondern mit einem Umsturz. Und zwar der eines Weihnachtsbaumes in Aachen, was glücklicherweise ohne größere Katastrophe ausging, aber doch genügend Anlass gab, sich Gedanken zu machen. Zumal die Vergangenheit gezeigt hat, dass umstürzende Weihnachtsbäume auf deutschen Weihnachtsmärkten keine Einzelfälle sind. Mit viel Glück blieb es dabei bisher bei Verletzten. Grund genug also, unter kontrollierten Bedingungen zu testen, mit wie viel Gewicht ein Weihnachtsbaum am Boden verankert werden muss. Wissenschaftler der Fachhochschule Aachen nahmen die Herausforderung an und stellten eine Nordmanntanne in einen Windkanal. Normalerweise werden in einem Windkanal Versuche unternommen, die beispielsweise den Luftwiderstand von Autos oder Flugzeugen untersuchen. Ein Tannenbaum hingegen hatte bis dato noch keinen Weg in den Windkanal gefunden.
Doch nun stand die Tanne im Aerolab der FH Aachen und wurde starken Winterstürmen ausgesetzt. Zu den Ergebnissen veröffentlichte die Forschergruppe (Dipl.-Ing. Joachim Bosten, Prof. Dr.-Ing. Frank Janser, Dipl.-Ing. Rolf Schauer, Maximilian Schmidt, M.Sc.) einen ausführlichen wissenschaftlichen Artikel dessen wichtigste Ergebnisse wir hier zusammenfassen.
Das primäre Ziel der Ingenieure war es, einen zuverlässigen Nachweis über die Standsicherheit des Baumes zu führen. Die wichtigste Größe, die hierfür benötigt wird, ist der Strömungswiderstandsbeiwert (c_w-Wert), der angibt, wie stark ein Baum dem Windwiderstand ausgesetzt ist. Um diesen Wert genau zu bestimmen, wurde der Baum einem Windkanaltest unterzogen, ein Verfahren, das normalerweise bei großen Bauwerken und technischen Konstruktionen angewendet wird. Dieser Test an einer Nordmanntanne lieferte einen c_w-Wert zwischen 0,71 und 0,89, je nach Windgeschwindigkeit.
Das Verfahren begann mit der Festlegung der Rahmenbedingungen und der Berechnung der auftretenden Windlasten. Es stellte sich heraus, dass die normalen Standards zur Berechnung von Windlasten bei Bäumen in der freien Natur nicht ausreichten, da Bäume auf Weihnachtsmärkten meist starr befestigt sind und keine elastischen Bewegungen zulassen. Das bedeutete, dass der Baum nur eine begrenzte Neigung hatte, wodurch sich die angeströmte Fläche bei höheren Windgeschwindigkeiten verringert und damit der Widerstand sinkt.
Der Windkanaltest ermittelte die Windlasten und half dabei, die Dimensionen des notwendigen Baumständers zu bestimmen. In diesem speziellen Fall wurde ein cw-Wert von 0,85 angesetzt, der die Basis für die Berechnung der Windkräfte auf den Baum und den erforderlichen Rückhalt des Ständers bildete. Dieser Wert wurde zusätzlich mit Sicherheitsfaktoren versehen, um eine ausreichende Absicherung gegen Kippen des Baumes bei Windstärken bis 8 Beaufort (ca. 21,1 m/s) zu gewährleisten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Untersuchung war die Bemessung des Baumständers. Dieser musste die auf den Baum einwirkenden Kräfte aufnehmen und stabilisieren. Dabei wurden unter anderem auch die Dimensionen des Baumstammes, die Form des Baumes sowie die Winddüseneffekte entlang der Marktstraße berücksichtigt. Das Ergebnis war eine detaillierte Berechnung, die zu einem robusten, stabilen Ständer führte, der aus 16 Betonfertigteilen mit einem Gesamtgewicht von mehr als 10 Tonnen bestand.
Die Versuche zeigten, wie durch präzise ingenieurtechnische Berechnungen und Windkanalversuche eine sichere und stabile Aufstellung des Weihnachtsbaumes erreicht werden kann. Mit den ermittelten c_w-Werten und der Berechnung der Windlasten konnte die Sicherheit des Baumes auf dem Aachener Weihnachtsmarkt auch unter extremen Wetterbedingungen garantiert werden.
Die Untersuchung verdeutlicht insbesondere auch, wie technisches Wissen und praktische Ingenieurlösungen Hand in Hand gehen, um die Sicherheit von Menschen zu gewährleisten – und zum Beispiel damit dafür sorgt, dass Weihnachtsmarktbesucher in aller Ruhe ihren Glühwein genießen können.
Frohe und sichere Weihnachten!
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